Impuls September 2023

Wer am lautesten schreit, hat selten recht. Aber Aufmerksamkeit. Und das scheint das A und O zu sein heutzutage. Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut haben untersucht, wie in sozialen Medien Meinungen gebildet werden. Die Modelle zeigen, dass Menschen sich eher äußern, wenn sie Bestätigung erwarten können. So kann es zu einer Schweigespirale kommen, weil eine laute Minderheit, die sehr aktiv ist und geschlossen auftritt, die leise Mehrheit zum Schweigen bringen kann. Wo es an zahlenmäßiger Größe mangelt, hilft man mit Aggressivität nach.
Seit Jahren habe ich einen kostenlosen Zugang zu einem professionellen Social Media-Kurs bei mir liegen. Bisher ungenutzt. Ich möchte einfach nicht meinen Alltag zusätzlich beschweren, wenn mal wieder ein wütender Mob tobt und einen gewaltigen Empörungssturm auslöst. Aber ich frage mich trotzdem, auch als Christ, wo die ruhige Stimme der Besonnenheit in unserer Gesellschaft noch gehört wird. Oder sollen Christen mitmachen und mitschreien im Konzert der Lauten, um sich Gehör zu verschaffen? Und dann lese ich im im Propheten Jesaja von einem geheimnisvollen „Gottesknecht“ . Von ihm heißt es, dass er gute Botschaft unters Volk bringen soll, aber er wird dabei „nicht schreien noch rufen, und seine Stimme wird man nicht hören auf den Gassen“. Was ist der Grund für dieses stille Wirken? Der Knecht soll den Menschen nicht Unheil und Gericht, sondern Heil und Trost verkündigen. Und Trost kann man nicht herausschreien, Trost muss man dem Herzen zusprechen! Es ist die Botschaft selbst, die nur in leisen Tönen gesagt werden kann: „Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen“ (Jesaja 42,3). All die Menschen in unserem Land, die um ihre Interessen und Rechte kämpfen, sollen die Botschaft hören, dass Gott nahe ist denen, die Unrecht erleiden im Leben. Aber diese Nachricht wird nicht herausgeschrien, sondern kann nur in leisen Tönen gesagt werden. Aber immer in der Hoffnung, dass sie ankommt.
Carsten Buhr